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Mit 83 Jahren hat er angekündigt, dass er in Zukunft nicht mehr vor der Kamera stehen wolle. Und auch Regie werde er kaum mehr führen. Robert Redford über Robert Redford – und die Dinge, die er für weit wichtiger erachtet als sich selbst.
Mariam Schaghaghi
10 min
NZZ am Sonntag Magazin: Über Kindheitsträume.
Robert Redford: Als ich ein Kind war, träumte ich davon, älter zu werden. Ich konnte es kaum abwarten, endlich ein Erwachsener zu sein. Jetzt, wo ich das erreicht habe, tut es mir leid, dass ich die Kindheit hinter mir gelassen habe. Damals habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, Verantwortung zu übernehmen und mich dauernd mit meinen Freunden zu treffen . . . Aber wenn du dann erwachsen bist, merkst du: Etwas fehlt. Es sind wohl die Träume und Freuden deiner Kindheit.
Über den allerersten Film, den er gesehen hat.
Mein erster Film war ein Walt-Disney-Film. Ich wuchs während des Zweiten Weltkriegs auf, da gab’s noch kein Fernsehen, nur Radio. Das Grösste für mich war, am Wochenende ins nächstgelegene Kino zu spazieren und einen Film zu sehen – was für eine riesige Freude! Ich konnte es jeweilen kaum bis zum Wochenende abwarten, um etwas Neues auf der grossen Leinwand zu sehen. Was ich heute bei all unserer fortschrittlichen Technologie, den Streaming-Diensten und Plattformen vermisse, ist das: in ein Kino gehen und mit anderen Leuten zusammen im Dunkeln sitzen. Die Lichter gingen aus, man merkte, dass auf der grossen Leinwand etwas Magisches geschehen würde. Man konnte die Spannung der Menschen um einen herum förmlich spüren! Das ist heute leider so ziemlich vorbei.
Warum er Schauspieler wurde.
Was ich am Schauspielerdasein besonders mochte, war das Gefühl von Freiheit. Man war frei, jemand anderes zu sein, wie ein anderer zu handeln, man musste nur die Menschen um sich herum beobachten und Charaktere sammeln. Dann konntest du von einer Figur sagen: ‹Ich habe diese Person vor Augen und kann sie sichtbar machen.› Die Schauspielerei ist in meinen Augen eine ernstzunehmende Kunstform.
Über fünfzig Jahre im Filmgeschäft.
Fünfzig Jahre? Schon so lange? Wow. Das muss ich verdrängt haben. Ich schaute immer nach vorne. Es gibt ein wunderbares Zitat dazu. Ich liebe den Schriftsteller F. Scott Fitzgerald und hatte das Vergnügen, in der Romanverfilmung von ‹Der grosse Gatsby› mitzuspielen. Der Erzähler Nick Carraway weiss, dass Gatsby von der Vergangenheit, vor allem von seiner früheren Liebe Daisy besessen ist. Aber die Vergangenheit ist vorbei. Nach einer riesigen Party, mit der er Daisy beeindrucken will, sagt Gatsby zu Carraway: ‹Ich glaube, alle haben sich amüsiert, nicht wahr?› Und Carraway sagt: ‹Ja. Aber du kannst die Vergangenheit nicht wiederholen.› Daraufhin entgegnet Gatsby: ‹Man kann die Vergangenheit nicht wiederholen? Aber natürlich kann man das!› Ich habe diesen Moment schon immer geliebt.
Über Lesen.
Bücher habe ich immer verschlungen. Ich bewundere Schriftsteller. Neben Scott Fitzgerald waren für mich J. D. Salinger und Hemingway wichtig, aber nur die Werke, die nicht so von seinem Machismo durchdrungen sind.
Über das gegenwärtige Amerika.
Wir erleben gerade dunkle Zeiten, ganz sicher gilt das für die USA. Das muss jedem klar sein, der die Zeitung liest. Ich sehe einige der Freiheiten, die ich immer so geschätzt habe, bedroht – durch übermässigen Egoismus, durch eindimensionales Denken, durch unerfahrene Personen, die am Steuer stehen, durch Menschen, die Macht an sich reissen. Ich liebe es, andere Länder kennenzulernen. Aber richtig beurteilen kann ich nur mein eigenes Land, weil ich es so gründlich kenne. Wenn ich über die USA nachdenke, ist es schwer, heute nicht sehr kritisch zu sein. In den 50er Jahren war ich noch ein Kind, aber ich erinnere mich noch immer an die Stimmung von damals. Als ich fünf oder sechs war, wurden Spenden gesammelt, um den Faschismus in der Welt zu bekämpfen, vor allem in Nazi-Deutschland. Wir setzten uns zusammen für die Erhaltung unserer Freiheit ein. Ich verstand damals nicht, worum es ging, aber es war ein gutes Gefühl.
Über die Forderungen der heutigen Zeit.
Ich glaube, das Wichtigste ist, ob Schauspieler oder Bürger, die Augen aufzumachen. Genau darauf zu achten, was um einen herum passiert. Wenn ich um Rat gefragt werde, werde ich immer nervös – ich weiss nicht, ob ich dazu qualifiziert bin, grosse Ratschläge zu geben. Aber Aufmerksamkeit finde ich am wichtigsten. Und gelegentlich zu versuchen, auch die andere Perspektive einzunehmen. Ich wandere sehr gern durch die Berge und Wüstenländereien um Santa Fé, New Mexico, herum. Da gibt es irrsinnig lange Wege, wo man viel, viel Zeit zum Nachdenken hat. Einmal habe ich nur auf das geachtet, was sich neben meinen Füssen befand. Ich habe gestaunt, das waren echte Entdeckungen, Dinge, die immer da waren, die mir aber nie aufgefallen waren. Seitdem ist es so, als hätte ich mein Leben um eine völlig neue Dimension bereichert, indem ich auf Details achte. Es ist immer richtig zu fragen: ‹Wo ist die Wahrheit?› Man sollte kritisch prüfen, wer dir dabei hilft, die Wahrheit herauszufinden, und wem man vertrauen kann. Es kann immer eine Quelle dabei sein, die nicht unbedingt der Wahrheit verpflichtet ist. Gewissheit hat man erst, wenn man tief gräbt. Man sollte jede Instanz hinterfragen, die Macht ausübt und dein Leben kontrollieren will. Sie muss nicht unbedingt falsch sein, aber sie könnte. Ich habe grössten Respekt vor dem Journalismus, er hinterfragt die Wahrheit. Ich beende auch Filme oft mit einer Frage, gebe sie quasi an den Zuschauer weiter. Fragen sind wichtiger als Antworten.
Über politisches Bewusstsein.
Als ich jung war, war ich nicht besonders politisch interessiert. Dann aber begann der Vietnamkrieg. Das hat mein Leben sehr beeinflusst, weil wir damals einberufen werden konnten. Bis dahin war ich ziemlich eindimensional, ich war ausschliesslich an meiner Karriere interessiert, wollte Kunst erschaffen. Politik hielt ich für Zeitverschwendung. Also ignorierte ich sie. Aber dann erkannte ich, dass die Frage der Einberufung – ziehe ich in den Krieg oder nicht? – auch ein sehr würdiges Thema für einen Filmemacher war! Damals begriff ich, welche Rolle die Kunst in der Gesellschaft spielen konnte: Kunst kritisiert die Gesellschaft. Das ist ihre wichtigste Aufgabe. Kunst appelliert an uns, ehrlich zu sein und nach Wahrheit zu suchen.
Schauspielerei oder Regie?
Regisseur zu werden, hatte für mich viel mit Kontrolle zu tun. Als Schauspieler hatte ich das Gefühl, dass es einen Teil in mir gab, den ich noch nicht nutzte. Ich wollte mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung haben. Regie zu führen, fiel mir leichter, weil ich Künstler war, bevor ich Schauspieler wurde. Meine Kunstform bestand darin, dass ich herumreiste, in Bars und Cafés mit einem Skizzenbuch herumsass und die Leute um mich herum malte. Meine Skizzenbücher leisteten mir damals Gesellschaft, ganz besonders als ich sehr jung nach Frankreich zum Studieren kam, niemanden kannte und keine Freunde gewann. Frankreich hatte damals grosse politische Differenzen mit den USA. Ich war sehr isoliert, schaffte es nicht, Kontakte zu knüpfen, und wurde immer einsamer. Daher zeichnete ich: Auf der rechten Seite des Buches skizzierte ich die Menschen um mich herum, auf der linken Seite erfand ich für sie Dialoge. Das kam mir später beim Regieführen sehr zugute!
Robert Redford als Regisseur: Männer, die leiden, fischen und heilen.
Über seinen Rückzug von der Kinoleinwand.
Ich sagte mir irgendwann: ‹Ich war überall dabei, ich habe das und das gemacht und damit Jahrzehnte meines Lebens verbracht.› Nicht, dass ich darauf nicht stolz wäre! Aber ich wollte etwas Frisches. Ich kehrte erst mal zu meinen Anfängen zurück, zum Skizzieren. Das fühlt sich wieder frisch an! – Aber Vorsicht, man sollte seinen Ruhestand nie ankündigen. Sonst gibt es eine Menge Leute, die sagen: ‹Aber bevor Sie gehen, könnten Sie noch einmal schnell dies tun? Oder jenes tun?› Also: Geh ruhig in Rente – nur sprich vorher nicht drüber.
Über seine Zukunft als Regisseur.
Ich glaube auch nicht, dass ich nochmals Regie führen werde. Aber man weiss nie. Es gibt ein Projekt, das mich seit Jahren interessiert, ich habe es entwickelt und wollte auch inszenieren. Sein Titel ‹109 East Palace› bezieht sich auf eine Adresse in Los Alamos, New Mexico, wo Oppenheimer die Atombombe entwickelte. Er wurde als Held gefeiert, als er sie 1940 erfand. Aber in der McCarthy-Ära der 50er Jahre wurde entdeckt, dass Oppenheimer in seiner Jugend Kommunist gewesen war, und plötzlich wurde er als Bösewicht gebrandmarkt. Wie sich die Stimmung gegen ihn damals veränderte, ist eine faszinierende Geschichte. Eigentlich hatte ich beschlossen, nicht mehr Regie zu führen, aber bei diesem Film stecke ich in der Zwickmühle!
Über Risiko.
Ich glaube an Risiken. Ein Risiko ist das Einzige, was dich vorwärtsbringt. Risiken bedeuten, dass du nicht weisst, wo du am Ende landest. Aber ohne Risiko stagniert man oder bleibt irgendwann ganz stecken. Nichts zu riskieren, wäre ein Risiko. Natürlich muss man ein Risiko auch bewusst und gut vorbereitet eingehen. Man muss die Lage genau studieren und wissen, warum es sich lohnt, dieses Risiko einzugehen.
Robert Redford und seine Flops.
Gute und schlechte Schauspieler.
Ein guter oder sogar grossartiger Schauspieler versinkt völlig in der Figur, bewohnt sie, trägt sie wie einen Mantel. Für eine kurze Weile verschmilzt er mit ihr. Aber das ist eine Herausforderung, die gut ausbalanciert werden will. Sonst kann es auch passieren, dass man sich in einer Figur völlig verliert.
Über «Butch Cassidy and The Sundance Kid».
Als wir den Dreh vorbereiteten, kam ich gerade von der Broadway-Komödie ‹Barfuss im Park›. Der Titel des Films lautete damals noch ‹The Sundance Kid and Butch Cassidy›. Paul Newman sollte Sundance Kid spielen, ich wurde als Butch Cassidy aufgestellt, weil ich mich ja gerade in einer Komödie bewiesen hatte. Aber diese Rolle interessierte mich gar nicht – mich faszinierte Sundance Kid, weil ich aus eigener Erfahrung das Gefühl kannte, Aussenseiter zu sein. Das erzählte ich George Roy Hill. Der kannte Paul Newman sehr gut und wusste, dass Paul so drauf war wie Butch Cassidy – und drehte das Ganze um! Mit Paul gab’s erst Diskussionen, aber dann gab er George recht. Paul war schon sehr bekannt, ich aber gar nicht – deshalb wurden die Namen im Titel dann umgedreht.
Über Paul Newman.
Paul und ich wurden durch die Arbeit sehr enge Freunde. Das Studio wollte mich erst gar nicht haben, nur der Regisseur. Darum flogen George Roy Hill und ich nach New York, um Paul zu treffen, den ich gar nicht kannte. Ich war gerade mal 29, Paul 42, er war wie gesagt schon ein Star, ich ein Nobody. Wir unterhielten uns lange, bis Paul sich entschied, dass er wirklich mit mir jungem Neuling drehen wollte. Er teilte dem Studio mit, dass er es sehr begrüssen würde, wenn sie mich engagieren würden! Seitdem hegte ich natürlich eine grosse Zuneigung für Paul Newman. Dass er das für mich machte! Der Dreh mit ihm wurde herrlich, wie später auch unser zweiter Film ‹Der Clou›. Da sind unsere Rollen genau andersrum: In ‹Butch and Sundance› spielte ich den coolen Kerl, und er ist der unbekümmerte Luftibus, in ‹Der Clou› bin ich der Unbekümmerte und er der Coole.
Über die Ablehnung des Establishments.
Ich bin kein Hollywood-Schauspieler. Das zu hören, macht mir immer Bauchschmerzen. Ich bin in Los Angeles aufgewachsen, aber nicht in Hollywood. Ich habe mich nie um etwas geschert, das man mit Hollywood in Verbindung bringt. Ich wollte ein ernsthafter Theaterschauspieler sein, ich wollte deswegen nach New York, also verliess ich Los Angeles schon in jungen Jahren, erst mal Richtung Europa. Meine ersten Erfolge feierte ich dann am Broadway in ein paar Stücken. Also war ich in meinem Selbstverständnis ein New Yorker Schauspieler, der ab und zu nach Hollywood kam, um einen Film zu drehen.
Über Erfolg.
Erfolg ist heikel. Es ist schwer, ihn zu definieren, er ist für jeden etwas anderes. Mich hat immer mehr interessiert, was fair ist und was unfair.
Über Kompromisse im Leben.
Ich war sicherlich immer sehr stur, wenn Kompromisse eingegangen werden sollten. Aber irgendwann merkt man, dass man engstirnig wird, wenn man sich Kompromissen total verwehrt. Vielleicht kommt also nun die Zeit, in der ich offener und freidenkender sein sollte.
Der beste Rat an junge Kulturschaffende.
Der Welt um sich herum grösste Aufmerksamkeit zu schenken. Und sich keine bornierte Perspektive erlauben.
Über Glück.
Glück variiert nach Zeit und Situation. Ich bin glücklich, wenn ich meine Kinder sehe und merke, wie gerne sie zusammen sind. Überhaupt macht mich ihr Glück glücklich. Und meine Frau. Glück gelingt einfacher, wenn man sich darum bemüht, glücklich zu sein.
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